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  • AutorenbildFranz Hoegl

Design/Kunst//Technik – Zur Form des Designs

Aktualisiert: 15. Nov. 2021

Design ist „seine“ Beobachtung. Das bedeutet, Design als den Einsatz einer spezifischen Unterscheidung, einer Form, zu unterscheiden von der Bezeichnung der Einheit dieser Unterscheidung. Design ist, so besehen, nicht immer und erst dann im Spiel, wenn der Signifikant ‚Zeichen‘ eingesetzt wird, sondern, wenn die Unterscheidung eingesetzt wird (von der ich, als Beobachter zweiter Ordnung, vorschlagsweise sage, sie sei die Form, die ich als jene Form beobachte), mit der sich Design selbst beobachtet. Welche Unterscheidung ist das?


Bislang habe ich zwar angekündigt, auf welches Bezugsproblem ich die Design-Beobachtung beziehe – Probleme der (Lesbarkeit) sozialer Adressenformulare unter den modernen Bedingungen einer polykontexturalen Gesellschaft –, bin aber eine Begründung noch immer schuldig, ebenso wie eine Diskussion der damit einhergehenden Fragen, durch welche Operation sich Design reproduziert, oder ob es überhaupt eine Operation, ein binärer Code ist, der die Selbstunterscheidung von Design durch Design bedingt ... oder ob Design nicht auch einer jener Fälle ist, die sich dem geläufigen Typologien und Topologien der „Systemarten“ entziehen, ähnlich, oder gar, gemeinsam mit: der Kunst.

Unabhängig von diesen noch zu klärenden Fragen nach Operation, Code(s), Programmen und Problembezug (offenbar gehört zu systemtheoretischen Texten nicht nur die Figur des Nachtrags, sondern auch die der Vertröstung typischerweise dazu) schlage ich vor, die Form des Designs in der Unterscheidung von Design und Kunst zu sehen. Die Konditionierungen dieser Unterscheidung können von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein, es sind Kriteriologien und Programme beobachtbar, die miteinander konkurrieren und sich womöglich gar gegenseitig ausschließen, doch bei aller Verschiedenheit fällt auf, dass es gerade die Kunst ist, von der Design unterschieden wird (was auch immer sonst für Folgen die Beobachtung von etwas ALS Design zeitigen mag). Auch wenn es Ziel meiner Untersuchung ist, Design als kommunikatives Geschehen zu beschreiben, also als ein Kommunizieren durch (und nicht: über) Design, so scheint mir der Besuch von Texten der Designlehre – d.h. von Theorien, die im Kontext der Ausbildung und Bestätigung von Leistungsrollen die „Praxis“ des professionalisierten Designs, die Tätigkeiten des Gestaltens im weiteren Sinne also, reflektieren (und gegebenfalls gegen Fremd-Beschreibungen zweiter Ordnung immunisieren sollen) – aufschlussreich. Wenn das Design als Designlehre auf sich selbst reflektiert, dann gewinnt es sich vor allem aus einer Distanzierung von der Kunst – Es wären ja auch andere Gegenseiten plausibel erwartbar, etwa die Unterscheidung von Design und Beratung. Stellvertretend für unzählige ähnliche Grenzziehungen in designtheoretischen Texten sei das viel zitierte Diktum der Designer-Ikone Kurt Weidemann aufgerufen (Weidemann, Kurt (1998): Kurtstexte. Essays, Reden und Interviews von und mit Kurt Weidemann. Stuttgart: Avedition):


„Kunst ist nicht Design und Design ist nicht Kunst.

Kunst ist frei, Design ist erklärbar.


Kunst fertigt Originale.

Design Serien.


Design braucht reichlich Objektivität.

Kunst ist subjektiv.


Design schließt intelligente Kompromisse.

Kunst schließt sie aus.


Design ist auf das Machbare ausgerichtet.

Kunst auf Utopie.


Design muss begreifbar und verständlich sein.

Kunst nicht.


Design geht von etablierten Gepflogenheiten aus.

Kunst verlässt sie.“


Formentheoretisch relevant ist an der Selbst-Unterscheidung von Design und Kunst nicht so sehr ihr wodurch, sondern ihr dass. Designdefinitionen finden sich viele (und das praktische an einem Blog ist vielleicht, dass ich es, anders als in einem wissenschaftlichen Text, bei diesem Hinweis belassen kann, in Zeiten der Suchmaschine), aber was auch immer programmatisch in den Vordergrund gestellt wird – etwa die semantischen Figuren des problem solving, der funktionalen Form, der lebensweltlichen Nachbesserungsambitionen, der Wissensproduktion, etc. –, das vollzieht sich bereits designintern auf der Designseite der Grundunterscheidung Design/Kunst.

Das bedeutet nicht, dass neben der Unterscheidung von Design und Kunst nicht auch andere Unterscheidungen in Designlehren begegnen, fast unausweichlich etwa die Unterscheidungen Kunst/Wissenschaft und Design/Wissenschaft. Zugleich fehlt es den meisten dieser Ansätze (nicht so bei der systemtheoretisch ansetzenden Theorie von Wolfgang Jonas, vgl. Ders., (1993), „Design-System-Theorie“, die mir aber doch auch im o.g. S. eine Designlehre, und nicht eine Designtheorie zu bieten scheint) an einer Formen- bzw. Differenztheorie, die vermag, diese Unterscheidungen theoretisch kontrolliert in Beziehung zu setzen. Designlehren haben zwar ein Gespür dafür, dass Design solche Unterscheidungen trifft, aber sie deuten diese Differenzen meist essentialistisch; oder aber, in direkter Antithese, als „Scheindifferenzen“, die sich, so die Erwartung, bei genauerer Analyse – etwa der konkreten Praxen von Designern, Künstlern und Wissenschaftlern – auflösen lassen als Effekte unterschiedlicher Erzähltraditionen.

Dieses differenztheoretische Defizit gilt m.E. auch für aktuelle Versuche, Design selbst als Wissenschaft oder Wissenschaftsalternative zu beschreiben, wobei der designinterne Diskurs in punkto Wissenschaft ähnlich ontologiserende Vorstellungen pflegt wie in Sachen Kunst („Kunst ist...“, „Wissenschaft ist...“). In aller Regel interessieren sich diese Debatten nicht besonders für wissensschaftscodierte Kommunikation (und haben es dementsprechend auch schwer, selbst als wissenschaftliche Disziplin registriert zu werden), sondern – woraus man systemtheoretisch kaum einen Einwand ableiten mag – für ihr eigenes Konstrukt „Wissenschaft“, das sich allerdings in fremdbeschreibender Perspektive eher als „Technik“ (auf die Designer zu treffen gewohnt sind) entpuppt [1]. Unter dem Label „design as research“ soll das Entwerfen als eigensinnige Form der Forschung inszeniert werden. An dieser Stelle zeigt sich die handlungstheoretische Engführung der Reflexionstheorie(n) des Designs. Denn offenbar werden die vielen Handlungen, Motive, Körperbewegungsskripte von Leuten, die in Labors oder in Designateliers eine gewisse Zeit des Arbeitstages verbringen, verglichen und jeweils mit Operationen „der“ Wissenschaft oder „des“ Designs verwechselt. Die emphatischen Unterstützer des design-research-Ansatzes, aber auch ihre praxistheoretischen Kritiker aus den Kulturwissenschaften [2] übersehen m.E., dass es nicht die Praxen der Leute (etwa der Forscher, Designerinnen, Sekretäre, Raumpflegekolonnenvorabeiter usw.) in der Umwelt von Organisationen, aber auch nicht die Vorgehensweisen von Organisationssystemen (etwa dem Frauenhofer-Institut, dem Institute for Cultural Studies in the Arts Zürich, dem Art Directors Club Germany, einem Designbüro in der Hamburger City, dem Apple Konzern, usw.) sind, aus denen Wissenschaft, oder Wirtschaft, oder Design „bestehen“. Vielmehr ist gerade das, worauf sich Designtheoretiker und Designer am häufigsten beziehen – „what designers do“ –, samt und sonders „Lärm“ in der Umwelt der Funktionssysteme. Erst wenn irgendein Beitrag etwas aus diesem Lärm herausgreift und dieses etwas als Beitrag-auf-den-Bezug-genommen-wird behandelt, wird es „in“ das Kommunikationssystem hereingeholt, d.h., es wurde zu einem systemischen Ereignis.

Die Selektion folgt hierbei entlang von systemspezifischen, typischerweise binär beobachteten Codierungen [Es ist eine Eigenart systemtheoretischer Texte, sich gewisse, gleichsam kanonisierte Theoriestücke selbst zu erzählen … so auch hier. Es ist ein Versuch, einige der Voraussetzungen noch folgender Betrachtungen zu explizieren, auf die Gefahr hin, längst Bekanntes zu referieren. Please have mercy!]: Rechtssystemische Kommunikation etwa hat stattgefunden, wenn etwas durch den Einsatz der Unterscheidung (Codierung) recht/unrecht aufgepickt wurde. Solange dieser nachträglich codierte Anschluss, dieser Aufgriff nicht vollzogen wurde, hat sich das Kommunikationssystem Recht nicht reproduziert. Das gilt für alle Sinnsysteme – weswegen Schreiben, Lesen, Singen, Tanzen, Springen, Brüllen, Schlagen etc. zwar Handlungen, aber keine Kommunikationen sind. Erst durch einen Aufgriff, der an Ereignissen Information (Was?) und Mitteilung (Wie?) unterscheidet (Luhmann nennt dieses Unterscheiden „soziales Verstehen“), kommt Kommunikation in Gang. Wirtschaft, um weitere Beispiele zu nennen, besteht, so gesehen, nicht aus Kaufleuten, Fabriken, Arbeiter*innen, Revisionsabteilung, Management und Finanzamt, sie besteht gar nicht, sondern sie wird stattgefunden haben in Form von Ereignissen, die im Sinne des Codes Zahlung/Nicht-Zahlung an eine der beiden Seiten der wirtschaftsspezifischen Code-Differenz anschließen (Gerade das Wirtschaftssystem ist hier für die Designtheorie instruktiv, da es zeigt, dass Kommunikation keineswegs allein sprachlich ablaufen muss. Man kann Geldscheine auch sprachlos den Besitzer wechseln lassen). Wissenschaft reproduziert sich entsprechend nicht aus Leuten und Instituten und Förderanträgen, sondern aus Kommunikationen, die vorangegangene Beiträge (und sei es potenziell, Erwartungen strukturierend) als wahr oder nicht-wahr bezeichnen. Und Design, so die hier vertretene These, nicht aus Gestalter*innen, Art Directors, DTP-Publishern, postgraduierten Investitionsgüterdesignstudent*innen oder Designpäbsten, sondern aus Designkompaktkommunikationen, die an vorangegangene Designereignisse anschließen (welche das sind, und was unter dem aus Luhmanns Kunsttheorie entlehnten Term „Kompaktkommunikation“ zu verstehen ist, dazu später mehr). Späteren Ausführungen vorgreifend lautet meine These, dass der Ansatz, Design als Wissensproduktion mit Wissenschaft zu verwechseln oder diese in jenem aufzuheben, einen handlungstheoretisch plausibilisierten Sublimierungsversuch darstellt, um so die Marktfähigkeit der stets von Auflösung bedrohten Leistungsrolle des professionellen Designers zu stützen. Ob Design als Forschung verhandelt wird oder nicht obliegt aber nicht berufsbedingten Hoffnungen, idealistischen Appellen und romantopathetischen Manifesten, sondern allein der (durch Evolution entschiedene) Frage, ob tatsächlich Designbeiträge durch die Wissenschaft als wissenschaftliche Beiträge aufgegriffen werden (und das heißt: ob sie gemäß der Wissenschaftscodierung unter dem Aspekt wahr/nicht-wahr als wahrheits- bzw. irrtumsfähig behandelt werden). Die Grenzen der praxeologisch unterstellten Grenzenlosigkeit von Design und Kunst und Wissenschaft zeigen sich ironischerweise in der Praxis: Am Royal College of Art besteht eine designpraktische Promotion, ein sogenanntes „PhD by Project“, aus zwei Komponenten, einem Werkstück, z.B. Zeichnungen, Artefakten, Modelle, und einem in Englisch verfassten, zwischen 25.000 und 40.000 Wörter umfassenden Text „defining the purpose of the work, the factors taken into account in its conception and development, and explaining the results“ (Zit. n. Mareis, Claudia (2011): ebd., S. 62.). Der Eindruck liegt nahe, dass die Universität selbst davon ausgeht, dass erst der Textteil der Arbeit wissenschaftliche Anschlussfähigkeit gewährleistet, was zugleich die (in dieses Promotionsformat eingebaute) These von ‚Designpraxis als wissenschaftlicher Form sui generis‘ schwächt. Überspitzt gefragt: Wozu ist ein schriftliches Erklären der Resultate erforderlich, wenn doch Designmaßnahmen selbst als Ereignisse der Forschung respektive der Wissenschaft verstanden werden sollen?

Designartefakte können, mit Blick auf (noch) gebräuchliche Programmierungen des wissenschaftlichen Wahrheitscodes, kaum mit wissenschaftlichen Texten (auf dem Feld der Wissenschaft) konkurrieren, sehr wohl aber mit technischen Einrichtungen (auf dem Feld des Gebrauchs): Die für praxisaffine Ansätze typische „Überforderung der Sichtbarkeit“ (Armin Nassehi) führt im Falle der Reflexionstheorien des Designs dazu, die sichtbaren, spürbaren Effekte der Technik, von denen sich Design auf noch zu bestimmende Weise zu unterscheiden scheint, mit den Operationen der Wissenschaft zu verwechseln. „Präzision“, „Mechanisierung“, „Rationalität“, „Funktionalität“, Chiffren also für die Erfahrungen des Umgangs mit Technik, werden in ein vermeintliches „Wesen“ der Wissenschaft hineinprojiziert (Was selbstverständlich nicht heißen soll, dass sich Anregungen aus der Wissenschaft nicht in Eigenleistungen des Designs umsetzen ließen. Das dürfte im Gegenteil in einigen Bereichen wie etwa dem Industriedesign geläufige Praxis sein, z.B. in Gestalt von Materialkunden). Im Folgenden möchte ich Wissenschaft wieder herausprojizieren in dem Sinne, dass „wissenschaftliches Design“ in etwa so windschief gebaut wäre wie „religiöse Finanzierung“. Letztere kann man zwar einfordern oder metaphorisch behaupten, aber man kann nicht damit bezahlen.

Wie ordnet nun aber die Systemtheorie die Unterscheidungen von Design, Kunst, Technik?

Mit Luhmanns, locker auf Spencer-Browns Laws of Form zugreifenden Formbegriff versteht die Systemtheorie unter „Form“ nicht eine Gestalt, eine Figur, sondern eine „Zwei-Seiten-Form“, den Unterscheidungszusammenhang von bezeichneter „Innen“Seite und unbezeichneter „Aussen“seite (ich gehe hier nicht auf die folgenreiche Räumlichkeitsmetaphorik ein, sondern folge ihr, gleichsam aus didaktischen Gründen). Die Registratur, die Auswahl, die Benennung von etwas, z.B. von „blau“, verdankt sich stets dem getroffen-worden-Sein einer Unterscheidung. Welcher? Das zeigt sich erst im weiteren Anschlussgeschehen, genauer, erst dieses Anschlussgeschehen legt durch den Anschluss an eine der beiden Seiten einer Bezeichnung fest, im Kontext welcher Unterscheidung die Bezeichnung verstanden wurde. Ob etwa „blau“ von „gelb“ oder von „nüchtern“ unterschieden wurde.

Doch alleine durch die Bezeichnung der zuvor unbezeichneten Gegenseite bekommt das Formierungsgeschehen keine Führung. Das Spezifische einer Unterscheidung, einer Form zeigt sich in dem, was durch die Einheit der Unterscheidung ausgeschlossen wird (und, da nichts so verbindet wie eine Grenze, eben: miteingeschlossen wird!). Diese große Außenseite der Unterscheidung, das „unwritten cross“ (Spencer-Brown), dirigiert beispielsweise als Differenz von Farbe und Nicht-Farbe, dass man durch die Bezeichnung der Gegenseite von „blau“ erwartbar doch ‚im Thema bleibt’ und also zu anderen Farbenbezeichnungen übergehen kann, aber ausgeschlossener Weise zu „Nüchternheit“, „Ofenrohren“, „niedlich“, „sanft“, „allopoietisch“, oder was auch immer... es sei denn, ein nächster Anschluss wechselt den Kontext, für den das Spiel wieder von neuem beginnt.

Dieses Formenschema vorausgesetzt, kann man formulieren: Das Spezifische der hier beobachteten Unterscheidung Design/Kunst zeigt sich in der Bestimmung dessen, wovon sowohl Design als auch Kunst unterschieden wird. Der ausgeschlossene Bezugspunkt der Einheit der Unterscheidung von Kunst (als Nicht-Design) und Design bildet die Technik. Dies könnte man auch so verdichten: Wird ein Kompaktereignis (z.B. ein „Objekt“) weder als Design-Artefakt bewertet wird noch als Kunstwerk behandelt, dann ist es wohl kaputt – und wird zum Problem der Technik. Das Reich der Intuition, der Synthese, der Kreativität, der kritischen Weltaneignung teilen sich – aus Sicht des Designs – Design und Kunst, im Unterschied zur technischen Umgebung, wo allein die Differenz funktioniert/funktioniert-nicht regiert (und so ihrerseits, als Meta-Hintergrund, die Differenz von Natur und Kultur heranzieht, in der all diese entwerferischen, künstlerischen und technischen Differenzen aufgehoben sind). Bevor ich darauf zu sprechen komme, wie genau (durch welche Formen, durch welche Operation) sich Design von Kunst unterschieden hält, möchte ich kurz auf die große Außenseite dieser Unterscheidung, eben die Technik, eingehen.

Design war seit seiner gewerblichen Ausmendelung etwa aus den Dessin-Abteilungen der Textil- und Möbelindustrie immer aufs Engste mit der Entwicklung der Technik verknüpft. Aber um verknüpft zu sein, muss es unterschieden sein. Zu keiner Zeit hätte es organisatorische Unsicherheit gegeben, ob die Verbesserung eines Ventils in die Ingenieurs- oder in die Design-Abteilung gegeben werden soll. Und auch die heroischen Geschichten aus der Hoch-Zeit von Design und Technik der Braun-Ulm-Ära, die den Eindruck erwecken, als wären Radios und Rasierer nicht als verkauf- und konsumierbare Produkte, sondern als „Dinge“ (man sprach von der "Moral der Dinge") zum Zwecke der moralischen Anhebung der Gesellschaft in die Welt gesetzt worden, können nicht verdecken, dass im Organisationssystem „Braun“ Design und Technik stets auseinander gehalten wurden – um sie im Medium der Konsumierbarkeit zu koppeln.

Sowohl die Kunst als Gegensonne des Designs als auch die Technik („Wissenschaft“) als Kontrastfolie ko-variieren mit dem Design unter den Bedingungen funktionaler Differenzierung. Solange Technik von Natur unterschieden wurde, findet sich auch kein Design. Luhmann spricht mit Bezug auf Technik von „funktionierender Simplifikation“: „In jedem Fall geht es um einen Vorgang effektiver Isolierung; um Ausschalten der Welt-im-übrigen; um Nichtberücksichtigung unbestrittener Realitäten“ (Luhmann 1997: 524). Solange Technik allein mit der Unterscheidung funktioniert/funktioniert-nicht befasst war, weil die Zwecke natural und unbestreitbar vorlagen und Nutzungsmöglichkeiten als Selbstverständlichkeiten unthematisiert blieben, gab es Äcker und Aquädukte, Skulpturen und Theaterstücke, Praxis und Poiesis – aber keine Designobjekte. Erst mit der Freigabe der Zwecke mussten Zwecke ausgewählt und gegen andere, auch mögliche Zwecke durchgesetzt werden, und das heißt, sobald hierfür Design in Anspruch genommen wird: Zwecke mussten herausgestellt, zurechtgestellt, zurechtgezupft werden, als Aufforderung, als Einladung, als Angebot, als Gelegenheit.

Zurück zur Binnendifferenz von Design und Kunst. Indem Design sich von Kunst unterscheidet, nimmt Design eine ganz eigene Version von Kunst „in Anspruch“. Die Kunst des Designs, um es gezielt doppelsinnig zu formulieren, ist nicht die Kunst der Kunst, aber auch nicht die der Kunstgeschichte oder die der Massenmedien. Die Kunst, mit der Design sich nicht verwechselt, ist auch nicht mehr jene, die mit der Unterscheidung „schön/hässlich“ (Luhmann 1995) operiert. Schon zu Zeiten Kants waren die Schönen Künste zum kritisierbaren Problem geworden, zu dessen Behandlung eigens eine neue Kulturleistung erfunden wurde, die Ästhetik. Fast schon rückblickend bestimmt Kant das Schöne als „Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes, sofern sie ohne Vorstellung eines Zwecks an ihm wahrgenommen wird“ (KU § 17, II 77). Wenn die „bloß formale Zweckmäßigkeit, d. i. eine Zweckmäßigkeit ohne Zweck“ (Kant) das Schöne unterscheidet vom bloß hedonistischen oder anderwertig interessegeleiteten Genuss und mithin die Schöne Kunst von angenehmer Gebrauchskunst, dann wäre die moderne Kunst entweder heimatlos geworden, oder die Ästhetik als Reflexionstheorie der Kunst muss sich heutzutage an anderen, neuen Kodierungen orientieren. Was auch immer sich als Kode der moderne, aktuellen Kunst herausstellen mag – gar: „Kunst/Nicht-Kunst“ (Peter Fuchs)? –, die Unterscheidung schön/hässlich ist, so meine Beobachtung, von der Kunst ins Design hinüberkopiert worden. Ein „schönes Bild“ – das geht gar nicht mehr. Ein „schöner Wein“, eine „schöne Saftpresse“ dagegen schon. Auch wenn unter Designer*innen, also in der Umwelt der Designkommunikation, Vorbehalte gegenüber dem Wort „schön“ gepflegt werden, so ändert das wenig daran, dass kaum eine Präsentation, kaum ein Kritikgespräch, kaum eine Beurteilung, kaum eine Design-Nutzung ohne Bezug aufs „Schöne“ (bzw. „Hässliche“) auskommt. [Exkurs: Noch prominenter als der Zusatz „schön“ begegnete einer Beobachtung des Designs einst die Bezeichnung „funktional“. Weiter unten wird dahingehend argumentiert werden, dass es sich hier nicht um Funktionalität im technischen oder soziologischen Sinne handelt, sondern um eine historisch imposante, aber kontingente Programmierung von Designkommunikation. Zum einen unterscheidet sich die an usability-Erwartungen orientierte „Funktionalitätssemantik“ in Designkommunikationen von dem technischen Funktionalitäts-Sinn, der gegenüber pragmatischen und semantischen Zumutungen vollkommen indifferent bleibt (Eine Brücke hält oder sie hält nicht. Fragen wie jene, ob man die Brücke braucht, wer sie wozu benutzen mag, ob Brücken erlaubt sind usw., sind technisch irrelevant). Zum anderen aber fällt es nicht schwer Design zu benennen, wo Fragen der Funktionalität weder naheliegend noch erwünscht sind.]

Die Kunst, von der sich Design unterscheidet um bei sich zu bleiben, erscheint als ein Sinngeschehen, in dem alles möglich ist, nur nichts Zweckmäßiges, aber: schön muss es nicht sein. Auch und gerade Versuche, Design als Kunst umzuwidmen restabilisieren diese Differenz. Der heroische Vorschlag des deutschen „Werbepapst“ Michael Schirners, Werbung bzw. Werbedesign zur Kunst zu erklären, wurde in der anschließenden Kommunikation eher als Designmaßnahme behandelt, und nicht als Kunstwerk.

Es sei noch einmal betont, dass damit keine ontologische Feststellung, was Kunst (und Design) „ist“, vorgenommen wird, sondern eine Beschreibung, wie Kunst als Außenseite der Form Design/Kunst – sozusagen aus Sicht des Designs – zurechtgestellt wird. Es ist erwartbar, dass diese Zurechtstellung aus Sicht der Kunst nicht geteilt wird: Kunst unterscheidet sich von allerhand, aber nicht in herausgehobener Weise vom Design, im Gegenteil: Kunstsammlungen zeigen gerne auch Designobjekte, dagegen wäre es ungewöhnlich, im Vitra-Designmuseum etwa durch ein kleines Kabinett mit Landschafts-Zeichnungen von Gainsborough überrascht zu werden.

Dass Design sich überhaupt von Kunst, und nicht von der Gesundheit oder dem Eisenbahnmodellbau oder der Altphilologie unterscheidet, liegt an (historisch bedingten) Gemeinsamkeiten im Unterschiedenen, etwa in der Heranziehung kreativer Mittel oder die enge Bindung an (und Führung von) Wahrnehmung und Erleben, aber auch, mit Blick auf das Medium des Geschmacks, welches der Kunst durch das Design „entwendet“ wurde, in der Verschränkung von Produzenten und Publikum. Beziehungsweise, im Falle des Designs, der Verschränkung von Produzent und Massenmedien; gerade die zentrale Rolle der Massenmedien bei der Vermittlung von „Geschmack“ wird durch die heroischen Selbstbeschreibungen des professionalisierten Designs regelmäßig ausgeblendet, oder wenigstens kulturpessimistisch geringgeschätzt. Zur Illustration etwa folgendes Zitat von Otl Aicher aus dem Vorwort eines Standardlehrwerkes über Visuelle Kommunikation: „...Die Postmoderne ist gekennzeichnet durch den Verzicht auf jede gesellschaftliche Perspektive. Die visuelle Sprache, die visuelle Kommunikation überlässt man den Konzernen, die den gesamten Markt der Werbung, Presse und Bilder-Medien beherrschen, man zieht sich zurück in eine Bilderwelt der ästhetischen Stile. (...) Wie gut es einem Menschen geht, sieht man an seinem Gesicht, seiner Hautfarbe, seiner Spannung. Den Status einer Gesellschaft erkennt man an ihrer Kommunikation. Es genügt heute die Anzeigen der Tageszeitungen durchzublättern, um zu sehen, in welchem Zustand die Kommunikation unserer Gesellschaft, voran die visuelle, geraten ist. Kommerz, Geschäft, Rendite und die Versprechungen des Himmels auf Erden. (...) Am Anfang steht also die Frage, was unterscheidet visuelle Kommunikation von Grafik-Design, was macht Kommunikation zu Kommunikation? Eine gewiss schwierige Frage. Und eine unbequeme. Wer ihr nachgeht, wird merken, dass der Zeitgeist, auch dort, wo er die Grafiker erfasst hat, kaum mehr ist als der Duft der leeren Flasche." Vgl. Karl Duschek, Anton Stankowski (Hg.) (1994): Visuelle Kommunikation, ein Design-Handbuch, Berlin: Reimer, Vorwort von Otl Aicher.

In praktischer Hinsicht, d.h. im Herstellungszusammenhang, überwiegen die Kunst und Design eigenen Gemeinsamkeiten des Entwerfens und Verwerfens, des Sich-Bereit-Haltens für abweichende Zufälle, das fleißige Abarbeiten in der einfallslosen Zwischenzeit, die eigentümliche Verschränkung von Kontingenz im Anfang und Notwendigkeit im Ende oder Abbruch des Gestaltungsprozesses. Wenn Luhmann über das Medium der Kunst schreibt, es sei bei stets mitlaufender Inanspruchnahme der Wahrnehmungsmedien die "Gesamtheit der Möglichkeiten, die Formgrenzen (Unterscheidungen) von innen nach außen zu kreuzen und auf der anderen Seite Bezeichnungen zu finden, die passen, aber durch eigene Formgrenzen ein weiteres Kreuzen anregen" (Luhmann 1986:191), dann gilt das in dieser Abstraktionslage auch für das Design. Sowohl in der Kunstproduktion –und rezeption (beides Leistungen von Beobachtungen) als auch im Design „[verwandelt sich] im Suchen [...] dann das Medium in Form“ (ebd.), und der Unterschied zwischen Kunstmedium und Designmedium zeigt sich in der spezifischen Weise der Konditionierung dieser Suche. Design sucht die Welt nach anderen Möglichkeiten ab als die Kunst. Man könnte auch sagen, Design hat das Medium des Geschmacks zunächst parasitiert und dann an sich gerissen. Wenn das Medium der Kunst (womöglich?) darin besteht, sämtliche Medien der Gesellschaft als Formen zu gebrauchen und bespielbar zu halten, so leistet sich Design einen wesentlich konkreteren und damit von historischen Rahmenproblemen abhängigeren Zusatzkode: den auf Exklusionsindividualität abzielenden Genießbarkeitskode. Dieses andersorientierte Absuchen und Ablesen zeigt sich in der Weise an, wie sich Design – jenseits der Spur dieser Prozesse in den reflexionstheoretischen Texten des Designs wie etwa dem obigen Weidemann-Zitat – kommunikativ von Kunst unterscheidet, nämlich in den Elementen des Designsystems selbst. Sprich, nicht erst im Sprechen über, sondern im Gebrauch von Design wird die Grenze zwischen Kunst und Design stets neu gezogen. Die Reproduktion der Form des Designs hangelt sich, so die These, entlang typischer Konsumpraktiken. Sobald ich meine These vom Design als Adressenarbeit erläutert haben werde, wird es in weiteren Blogeinträgen mehr oder weniger systematisch darum gehen, anhand von typischen Fallbeispielen die Hypothese der Selbstunterscheidung von Design durch Design untermauert werden; Fallbeispiele, die zeigen, wie sich Design(gebrauchs)episoden miteinander verketten, und, wie in diesen verkettenden Bezugnahmen Information und Mitteilung unterschieden wird. Mithin suche ich Antworten auf die Frage, ob und wenn ja wie Design sich selbst „Nachfragen“ stellt in Form von weiterem Design. Und dies ist nichts anderes als die Weiterbearbeitung der Frage, inwiefern es gerechtfertigt ist, von einem selbstreferentiellen, autopoietisch geschlossenen System des Designs zu sprechen – oder ob sich im Falle des Designs nicht ganz andere Formen der Ausdifferenzierung zeigen.


 

[1] Vermutlich erliegen Designer hier den rhetorischen Strategien der Ingenieure, mit deren Einschränkungen und Vorschlägen sich Designer praktisch herumschlagen. Wenn dem Designer die Argumentation entschlüpft, er sei davon überzeugt, dass sein Vorschlag im Gebrauch funktionieren würde, kann der Ingenieur immer umschalten auf das Entkräftungsargument „das-hat-mit-Überzeugung-nichts-zu-tun-das-ist-Physik.“


[2] Vgl. hierzu informativ Mareis, Claudia (2011): Design als Wissenskultur, Interferenzen zwischen Design und Wissensdiskursen seit 1960, Bielefeld: transcript.





Da ging's noch ohne Design: Natura schmiedet Kinder (aus dem Rosenroman, 15. Jahrhundert)



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