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  • AutorenbildFranz Hoegl

Form folgt nicht Funktion. Sie erfüllt eine.



In einer griffigen, an klassischen Ansätzen orientierten Bestimmung bezeichnet Dirk Baecker Design als eine Semantik, die Form und Funktion zusammentrennt. Von Design „[ist] immer dann die Rede [...], wenn eine Form auf ihre Funktion untersucht, gestaltet und verbessert wird“ (Dirk Baecker: Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt a.M. 2005, S. 265) (Und dass es hier um Semantik, um sozial gepflegte Beobachtung-als geht, und nicht um Ontologie, wird durch den Bezug darauf, wovon „die Rede“ ist, angezeigt. Wenn Systemtheoretiker eine weitere Art von Hegelianer sein mögen, dann sind sie dadurch in guten Momenten eben auch Aristoteliker). Dem möchte ich nicht widersprechen, aber einwenden, dass diese Bestimmung ein Merkmal, eine typische Hinsicht formuliert, die durch weitere Unterscheidungen ergänzt werden sollte. Denn nicht jeder Versuch, Formen funktional zu verbessern, wird auch als Design angesprochen, erkannt, kritisiert, genossen. Man könnte zwar von einer einer spezifischen Operationsform ausgehen und diese, abstrakt, als Design bezeichnen; dann wäre allerhand „Design“, und nur ein Teil davon – jener, der quasi zu sich selbst kommt – würde dann auch noch sich so bezeichnen bzw. bezeichnet werden. Man müsste Design von Design-Design unterscheiden. Ich gebe zu, das ist verlockend. Aber dem steht entgegen, dass es uns ja nicht darum geht zu definieren, was Design ist, sondern eben, wovon die Rede ist, wenn von Design die Rede ist.

Ich möchte dieser einen Hinsicht – Design beobachtet Formen auf ihre Funktion(en) hin– nun nicht kontingenterweise weitere zur Seite stellen (etwa, Design diene der Unterhaltung, der Weltaneignung, dem Konsumfetisch, usw. usw.), sondern, wie gesagt, in den Kontext weiterer Unterscheidungen platzieren.

Dirk Baeckers Vorschlag spielt mit der Mehrdeutigkeit der Ausdrücke „Form“ und „Funktion“, und gerade das Spielerische passt ja auch gut zu Design, zumindest zu der Selbstbeschreibung dessen, what designers (say they) do. „Form“ meint, in diesem Kontext, mal Gestalt, shape, Oberfläche, und mal Form als Einheit einer Unterscheidung im Sinne des Luhmannschen Formbegriffs[1]. Das ist pfiffig, denn ohne Probleme lässt sich die alltagssprachliche Verwendung von „From“ als Form im systemtheoretischen Verständnis rekonstruieren.

Die Mehrdeutigkeit von „Funktion“ ist weniger eindeutig (...), und genau das macht m.E. Probleme. Denn „Funktion“ im alltäglichen Sprachgebrauch mag allerhand bezeichnen, aber nicht alle diese Gebräuche lassen sich im Sinne des systemtheoretischen Funktionsbegriffs rekonstruieren (sprich, anders als bei „Form“ meint man mit „Funktion“ nicht stets immer AUCH das, was systemtheoretisch damit gemeint ist).

Systemtheoretisch unterscheidet man seit Luhmann [2] zwischen Funktion und Zweck. Während Zwecke Handlungen im Sinne von Soll-Werten orientieren, und also die Welt in Eindeutigkeiten verwandelt (Entweder, man kann die Fußgängerbrücke über die Themse zur Modern Tate nutzen, oder nicht), eröffnen Funktionen Vergleichsmöglichkeiten, die durch die Bestimmung eines Bezugsproblems gestiftet werden. Mir scheint nun, der eingangs benannte Anschluss an traditionelle Reden über Design (form follows function) wird erkauft, indem unter der Hand „Funktionen“ zu Zwecken umgewidmet werden. So dass das Zeichen „Funktion“ im Baeckerschen Formvorschlag von Design (Design als Re-entry von Funktion/Form) nicht reflexiv auf sich selbst Bezug nimmt, sondern hier die Homonymität des Signifikanten „Funktion“ einen refliven Schein erzeugt: Denn mal bezeichnet „Funktion" schlicht Zwecke (auf die hin eine Gestaltung, eine Formung optimiert wird, denen sie „folgt“), während man sich, ganz ohne „re-entry“, in einer anderen Unterscheidungsweise fragen kann, welche Funktionen – nun im systemtheoretischen Sinne der Suche nach einem Bezugsproblem – diese auf Zwecke ausgerichteten Optimierungsversuche oder -angebote oder -praxen erfüllen mögen. Wenn von Design die Rede ist, ist immer möglich, dass auf Optimierung, Untersuchung, Gestaltung von Zweckerfüllungsmitteln Bezug genommen wird, aber nicht nur. Und diese Figur des „auch immer möglich, aber nicht nur“ verweist auf eine andere Unterscheidung, die in der Systemtheorie gut eingespielt ist, der Unterscheidung von Funktion und Leistung. Diese Unterscheidung bringt auch Sandra Groll (Sandra Groll: Zwischen Kontingenz und Notwendigkeit, Zur Rolle des Designs in der Gesellschaft der Gegenwart, Bielefeld 2022) in ihrer Designbeobachtung ins Spiel, wenn sie zusammenfasst, dass Funktionen immer mit Bezug auf das Gesamtsystem Gesellschaft erfüllt werden, während Leistungen „hingegen für andere Systeme dieses Gesamtzusammenhangs erbracht werden“ (Groll 2022, 71). Das, was Baecker und viele andere seit Sullivan als wesentlichen Gesichtszug der Familie „Design“ isolieren ist nicht das Erfüllen einer sozialen Funktion (im systemtheoretischen Sinne), sondern das Erbringen von Leistungen: Man kann, dank des für menschliche Hände designten Griffs, mit dem Messer Brot schneiden. Dank Design sofort den Notausgang finden. Seine Nachbarn beeindrucken. Ein Gefühl mit einem Produktnamen verbinden. Allerdings sehe ich die Funktion von Design nicht, wie Groll, in der Ermöglichung nicht-sprachlicher Sinnformen, sozusagen als Sprachmediumsergänzungsmittel. Denn vor der Beobachtung von etwas als Design(artefakt) ist nichts sicher, auch und erst recht nicht Sprache. Nicht umsonst kennt das Agentur-Denglish nicht nur das „Arten“ (wie soll's ausschauen?), sondern auch das „Worden“ (was sag' mer?). Wie ich in vorangegangenen Beiträgen vorgeschlagen habe, sehe ich die Funktion, die Design für das Gesamtsystem Gesellschaft erfüllt, in der (erleichterten) Lesbarmachung sozialer Adressen in modernen Zeiten polykontexturaler Differenzierung. Auf das Erfüllen dieser Funktion hat Design keinen Alleinvertreungsanspruch, weswegen ich auch nicht von einem Funktionssystem Design ausgehe. Ja, nicht einmal davon, dass Design sich überhaupt zu einem System schließe. Design fungiert als bei Bedarf zuschaltbare, aufgreifbare, „streunende“ Beobachtungsform. Die für das Design typische Weise, Adressenarbeit zu leisten, sehe ich durch seine Janusköpfigkeit gewährleistet, die sich in verschiedenen Fassungen von Designbeobachtungen immer wieder findet, mal als „interface“, mal als „Paradoxie des Designs“, als „Ironie“, mal als „Oszillieren“. In meiner Fassung als das stets mögliche Kippen auf die eine oder andere Seite der Unterscheidung „Nutzen“/“Genuß“. Zeig mir, was du nützend genießt, und ich sag dir sofort, „wer“ du bist. Das Medium des Designs wäre dann, in dieser Perspektive, nicht „Gestaltung“ (Groll), nicht Mitteloptimierung (Sullivan), aber auch nicht einfach „Geschmack“ (Bordieu), sondern die Schnittstelligkeit, die Reproduktion der Grenze, die Geschmack und Zwecke verbindet.

[1] Üblicherweise würde dastehen: im Sinne des Formbegriffs von George Spencer-Brown. Aber wie ich schon öfters in Texten betont habe, möchte ich der Systemtheorie eine doppelte Buchführung vorschlagen, und die Eigenleistung Luhmanns in Sachen Formbegriff zu trennen von der Feierabend-Frage, wie eng oder gar nicht dieser Formbegriff mit Denkfiguren Spencer-Browns verbunden ist, ob Luhmann Spencer-Brown je verstanden habe usw. [2] Klassisch: Luhmann, Niklas (1991): Funktion und Kausalität, in: Ders. (1991): Soziologische Aufklärung 1, Opladen, Westdeutscher Verlag.


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